Nach unfassbaren 97 Minuten trennen sich Stern und Croatia 4:4. Nächster Halt: Rudow!
Die Zuschauer gucken sich ungläubig an, 22 Spieler, das gesamte Stuff der beiden Teams und alle Wechselspieler wissen nicht recht, ob sie nun lachen oder weinen sollen, als der Schiedsrichter abpfeift. Was war das denn für ein irres Spiel auf dem Sterner? Da führt der SFC Stern 1900 nach einer sehr erwachsen vorgetragenen ersten Hälfte hoch verdient mit 2:0, kassiert dann vier Gegentore und holt sich am Ende noch ein Unentschieden – Wahnsinn!
Alles passte aus Sicht der Gelbhemden. Sie gaben den Ton an und Aushilfsneuner Nico Wobeser schlug blitzsauber zweimal zu. Erst per Kopf, nachdem ihm Oliver Gantzberg von der rechten Seite den Ball punktgenau auf den zweiten Pfosten servierte (11.), dann mit dem Fuß von gleicher Stelle aus – diesmal machte sich Flo Medrane als Kellner (24.) verdient.
Gut, die dicke Chance für Croatia aus der 7. Spielminute von Piotr Woznikiewicz – Sterns Keeper Niko Wiesner parierte stark mit dem Fuß – gehört zur Wahrheit dazu, aber es war schon so, wie Sterns Coach Roman Rießler einen Tag nach dem Match die erste Schicht in Erinnerung hatte: “Croatia hätte sich über drei oder vier Gegentore mehr bis zur Pause nicht beschweren dürfen.”
Entspannt ging es zu Beginn der zweiten Schicht zu auf der Tribüne im Sterner Lager. Gerade erst hatten die 1900er nach einer tollen Kombination das 3:0 auf dem Fuß. Und auch, wenn daraus nichts wurde, so war man sich sicher: Hier würde heute nichts mehr anbrennen.
Was dann passierte, geht auf keine Kuhhaut. Croatia hatte zur Pause dreimal ausgewechselt und den Druck erhöht – was den Anschlusstreffer des auffälligen Piotr Woznikiewicz (50.) aber nicht erklärte. Sterns Hintermannschaft hatte schlichtweg gepennt. Mehr oder weniger unbehelligt durfte er sich im Strafraum auf Höhe des zweiten Pfostens die Ecke aussuchen und entschied sich erfolgreich für die linke: 1:2. Nicht schlimm, ein Gegentreffer kann ja mal passieren. Unruhig war deshalb noch niemand bei den Fans.
Eine Viertelstunde später sah das ganz anders aus, da führten die Gäste nämlich plötzlich mit 3:2. Der Ausgleich war eine Blaupause des ersten Croatia-Tores – inklusive dem Pennen -, nur schob Arda Sari diesmal ein (57.). Und nach einer Kerze im Torraum gab Croatias Neuzugang Mehmet Uzuner Sterns Keeper Niko Wiesner das Nachsehen (64.). Doppeltes Unglück, Wiesner verletzte sich bei dieser Aktion und Cihan Caliskan übernahm seinen Posten. In die Totenstille im Sterner Block hinein fiel dann auch noch das 2:4. Woznikiewicz durfte sich nochmal am begleiteten Toreschießen beteiligen. Von der 16er-Kante zog er ab, der Ball rauschte unter den Giebel des Steglitzer Kastens (74.).
Gelb-blaue Fassungslosigkeit hier, jubelnder Croatia-Anhang da und Sterns Coach Rießler hatte sich längst auf die Auswechselbank zurückgezogen. “Keinen Pfifferling hätte ich zu diesem Zeitpunkt noch auf meine Mannschaft gegeben. Es war enorm, mit welcher Moral wir dann doch noch zurückgekommen sind und können sogar noch den Siegtreffer machen.”
Der erneute Salto rückwärts dieser Partie begann mit der Einwechslung von Youngster Prince Boakye. Plötzlich war wieder Zug im Angriffsspiel der Hausherren, auch weil der ohnehin gut aufgelegte Oliver Gantzberg noch einmal die Ärmel hochkrempelte. Mit Erfolg. In der 85. Spielminute spielte ihm Eddie Udeoka die Kugel von der linken Seite vorne ins Zentrum rein. Mit einem ganz langen Schritt brachte Gantzberg den Fuß vor seinem Bewacher an den Ball und schob ihn zum 3:4 in die Maschen.
Stern drängte auf das 4:4 und nur drei Minuten später war es soweit. Bei einem Rückpass zum Gästekeeper Muhamed Selmanovik war Boakye einen Schritt schneller am Ball und fiel elfmeterreif über Selmanoviks langes Bein. Gantzberg verwandelte nervenstark. In der Nachspielzeit legte Boakye dann von der rechten Seite für Gantzberg auf, doch einer der Gäste rettete im letzten Moment. “Hat er geil verteidigt”, sagte Sterns Torjäger anerkennend nach dem Spiel. Er hatte genauso Recht wie der Vereinsvorsitzende Bernd Fiedler: “Das 5:4 wäre nach dem Spielverlauf auch des Guten zuviel gewesen.”
So standen sie also da nach dem Abpfiff, alle Beteiligten, und wussten um ihre Gefühlslage nicht wirklich Bescheid. Auch Rießler war bedient. Erst ein paar Tage später versuchte er sich an einer Analyse: “Auf der einen Seite freut es mich zu sehen, wie diese Mannschaft ihre Gegner auseinanderspielen kann. Da fehlt es uns höchstens noch an Effektivität vor dem Kasten. Auf der anderen Seite ist so ein kollektiver zwanzigminütiger Blackout einfach nicht zu erklären.” Klar sei ihm im Zweifel auch ein 1:0-Sieg lieber gewesen. “Aber wir wollen ja auch attraktiven Fußball spielen und für die neutralen Zuschauer war das ein tolles Berlin-Liga-Spiel”, so Rießler.
Schon an diesem Freitag gastiert Stern beim TSV Rudow. Das Hinspiel hatte einen ähnlichen Verlauf wie der Vergleich mit Croatia. In der ersten Halbzeit brillierte Stern, im zweiten Durchgang gab es auf den Deckel. Das soll sich nicht wiederholen. “Wir überlegen noch, wie wir uns taktisch verhalten, aber ob wir nun unseren Stil beibehalten oder ändern: Wir bleiben positiv. Unterm Strich war das ein auch ein Punkt gegen einen durchaus starken Gegner.”
Wer Zeit hat am Freitag – ab 19.30 Uhr rollt der Ball an der Neuköllner Straße 277. Spektakel nicht ausgeschlossen.
Fotos (5): Ralf Seedorff