Als Yannick Woithe ein paar Punkte unter den Weihnachtsbäumen verteilte
Es wird der Tag kommen, in der Sternstunde, am Spielfeldrand des Sterners, vielleicht schon bei der großen gemeinsamen Saisonabschlussfeier im Sommer. Da werden Kicker oder Funktionäre der drei stärksten Männerteams bei einem Bierchen zusammensitzen und sich gerne an den letzten Spieltag vor dem Jahreswechsel, am Sonntag, 15. Dezember 2024, erinnern. Vielleicht Maxi Obst, Trainer der Ersten, Patrick Mattern, Kapitän der Ü32-Verbandsliga-Elf und Maximilian Schubart, Angreifer der Zweiten in der Landesliga.
Alle drei Mannschaften hatten Heimspiele, nacheinander weg. Obst wird erzählen, wie sein Team an diesem Tag das Unmögliche möglich und aus einem 1:3 gegen Altglienicke II in der Nachspielzeit noch ein 3:3 gemacht hat – und damit den Nimbus der Unbesiegbarkeit wahrte. Schubart wird von seinen drei Treffern gegen Concordia Wittenau schwärmen, eines davon sogar per Elfmeter. Wichtiger wird es ihm sein zu betonen, dass am Ende ein 4:1-Sieg und drei wahnsinnig wichtige Punkte im Abstiegskampf standen. Und Patrick Mattern wird den 4:3-Last-Minute-Triumph über Croatia zum Besten geben. Und am Ende werden alle gleichzeitig laut den Namen desjenigen Spielers ausrufen, ohne den diese drei Top-Resultate nicht erzielt worden wären: „Yannick Woithe!!!“ So oder so ähnlich könnte es stattfinden. Zumindest ist es nicht ganz abwegig.
Denn „The Woi“ hat an besagtem Sonntag echt einen rausgehauen. In der Ü32 brachte er Stern zunächst blitzartig mit einem Doppelpack in Front (5., 9.). Fast am Ende einer immer intensiver und hitziger werdenden Partie stand es noch 3:3 – Dennis Freyer war erst in der 83. Minute der Ausgleich für die Steglitzer gelungen. Die letzte Minute brach an und Woithe war zur Stelle. 4:3-Sieg, Kontakt zur Spitzengruppe der Liga gehalten.
Frisch geduscht schlurfte er nach dem Spiel dann an Maxi Obst vorbei. Die Personalsorgen der Ersten sind hinlänglich bekannt, Woithe auch. Also bot er an, sich auf die Bank zu setzen. „Um bisschen Energie und Push zu geben“, beschrieb er seine Idee am Montag darauf, die Obst freilich dankend angenommen hatte. Vielleicht hatte der Coach eine leise Vorahnung, was da kommen könnte. Beim Pushen blieb es jedenfalls nicht. Obst brachte Woithe beim Stand von 1:3, etwa zehn Minuten vor Schluss, und der markierte in der Nachspielzeit das wichtige 2:3, dem Olli Gantzberg kurz darauf sogar noch den Ausgleich folgen ließ. „Weiß nicht, ich stand halt da, wo ein Stürmer stehen muss“, kommentierte Woithe seinen umjubelten Coup.
Für gewöhnlich wäre es spätestens jetzt Zeit für ihn gewesen, sich mit einem isotonischen Kaltgetränk in der Hand auf der Tribüne niederzulassen und seine Tore zu genießen, gemütlich der Zweiten ein wenig zuzusehen und danach einen Abstecher in die Eistonne im heimischen Garten (hat er eine?) zu machen, der Regeneration zuliebe. Aber Sterns Goalgetter hatte offenbar noch etwas vor.
Zum Erstaunen aller saß er nämlich plötzlich auch bei der Landesliga-Vertretung auf der Bank. Und was soll man sagen? Wie zuvor bei der Ersten kam er in der 81. Minute auf den Platz – beim knappen Stande von 2:1. Schubart hatte früh zwei seiner Treffer markiert, danach ging nicht mehr viel. Zwei Minuten brauchte Woithe, um das 3:1 vorzubereiten. Er setzte Dzenis Talevic in Szene, der noch einen Gegenspieler austanzte und elegant einschob (83.). In der Nachspielzeit stand der Routinier erneut im Rampenlicht. Den Torwart der Wittenauer hatte er bereits umkurvt, als der ihn kurz vor dem Torschuss von den Beinen holte. Elfmeter. Und jetzt machte Woithe seine Story endgültig weihnachtstauglich: „Den haben sie mir angeboten, aber ich habe lieber einen Jungschen schießen lassen.“ Schubart bedankte sich für des Fußballers Nächstenliebe und traf zum 4:1.
Der Routinier hat aber irgendwie mehr gemacht als nur die Punkte klar. Natürlich spielt Woithe in erster Linie gerne Fußball. Aber er hat darüber hinaus vorgelebt, was der oft beschworene Familiencharakter des Vereins SFC Stern 1900 unter anderem bedeutet: Sich gegenseitig zu unterstützen. Nicht etwa alibimäßig, sondern tatsächlich. Woithe ging dahin, wo es wehtut. Er hat jede einzelne Partie so ernst genommen wie ein Endspiel um die Meisterschaft. Einfach stark.
Apropos „abwegig“. Woithe glaubt schon, dass über diesen Spieltag eines Tages noch geredet werden wird. „Das war schon ein krasser Sonntag. Immer wieder abkühlen, aufwärmen, dann rein ins Spiel. Aber mein Körper hat das besser weggesteckt als ich dachte“, sagte er am Montag drauf. „Dieser Tag wird mir auf jeden Fall in Erinnerung bleiben – ich glaube dem einen oder anderen, der dabei war, auch.“
Fotos (6): Ralf Seedorff