Sterner Fußballerinnen erdrücken Neukölln

Matthias Vogel1. Frauen, Stories

Rießler-Truppe ist im Spitzenspiel zur Stelle und gewinnt 4:1 – schmeichelhaft für die Gäste

Kapitänin Alina Cibusch schaute etwas bedröppelt aus der Wäsche, als sie nach dem Duschen ins Casino schlurfte. Dabei hatte sie wahrlich nicht schlecht gespielt und ihr Team den Tabellenzweiten nach Belieben dominiert. Es war – da muss man ehrlich sein dürfen – die katastrophale Chancenauswertung, die nicht nur sie nachdenklich machte.  

Auch Sophia Verheijen hatte einen Treffer auf dem Fuß.

Cibusch, Elena Gabler, Sophia Verheijen, Hannah Schmitz – die Steglitzerinnen liefen über die gesamte Spielzeit teils mehrfach alleine auf Neuköllns Torhüterin Angelique Bratschke zu oder tauchten mit besten Aussichten auf Torerfolg ebenso verwaist vor dem Gästekasten auf. Bessere Möglichkeiten kann man sich nicht erspielen, kläglicher kann man sie nicht vergeben.

Dabei hatte Emina Wacker vorgemacht, wie es geht. In der 17. Minute nahm sie einen Steckpass mit in den Lauf, Cibusch hatte das Zuspiel knapp verpasst und damit wohl auch die bis dato stabile Neuköllner Abwehr irritiert. Jedenfalls machte sich Wacker auf den Weg und schloss ab. Fast wollte man ihr zurufen: „Geh doch noch ein paar Meter!“, so früh kam ihr Schuss. Allerdings verlud sie Bratschke gekonnt. Neuköllns Torsteherin rechnete mit der linken Ecke aus ihrer Sicht, der Ball schlug aber in der rechten ein.

Unfassbare Laufarbeit: Hannah Schmitz machte ihrer Arbeitsplatzbeschreibung Schienenspielerin alle Ehre.

Mit einem mageren 1:0 ging es in die Kabine und Trainer Roman Rießler hatte ob der vergebenen Riesen schon jetzt einige graue Haare mehr auf dem Kopf. Aber es kam noch schlimmer. Stern blieb nach Wiederanpfiff zwar unglaublich präsent und ließ dem Überraschungsteam der Saison weiterhin kaum Luft zum Atmen – aber eben leider auch nach wie vor beste Gelegenheiten aus.

Es kam, wie es so oft kommt im Fußball: „Machste vorne die Dinger nicht, kriegste sie hinten rein.“ Einen von drei ernst zu nehmenden grün-weißen Vorstößen – alle drei begünstigt durch Sterner Schludrigkeiten im Aufbauspiel – nutzte Viona Canning zum Ausgleich (55.) und unterstrich damit eine große Qualität der Neuköllnerinnen in der aktuellen Spielzeit: große Effektivität vor des Gegners Kasten.

Trainer Roman Rießler hat selten so viele vergebene „Riesen“ in einem einzigen Spiel gesehen.

Dass es nicht zu einem weiteren typischen Spielverlauf kam – Gegner mauert und kommt am besten noch über einen Konter zum Sieg -, hatte mit der richtigen Einstellung und der spürbar besseren körperlichen Verfassung der Sterner Frauen zu tun. Sie schüttelten den Schock des Ausgleichs ab, kreierten weiter Chancen und belohnten sich auch endlich dafür: Cibusch chippte von halbrechts einen Ball diagonal in die Box. Adressatin Wacker hob den Ball mit dem ersten Kontakt über Bratschke und wurde dann von ihr über den Haufen gerannt: Elfmeter. Formsache für Cibusch: 2:1 (75.).

Anina Sange (Mitte) und Alina Cibusch (re.) wägen Freistoßoptionen ab. Sange entscheidet sich für den Hammer und trifft zum 3:1.

Nur zwei Minuten dann der Genickbruch für Grün-weiß. Sterns Spielführerin befand sich erneut auf Solotour in Richtung Bratschke und wurde an der Strafraumkante von Neuköllns letzter Frau, Romina Schmalbein, von den Beinen geholt. Rot für die Abwehrchefin, Freistoß für Stern. Anina Sange wuchtete die Kugel halbhoch in die linke Ecke – die Messe war gelesen. Nach einem tollen Angriff – der Ball wanderte von der linken Angriffsseite schnell auf die rechte, die eingewechselte Leonie Brünner setzte die enorm fleißige Hannah Schmitz in Szene, die ihren Lauf mit einem schulbuchmäßigen Pass von der Grundlinie in den Rückraum veredelte. Die heranrauschende Katharina Herber hielt den Fuß hin: 4:1.

Hannah Schmitz (l.) auf Katharina Herber: 4:1. Ein Tor wie gemalt.

Neuköllns Coach Helge Kapheim gratulierte fair, Rießler sprach „auch von einem Sieg der Physis“. Über die Torquote und seine sich langsam wandelnde Haarfarbe wird er mit seinen Schützlingen noch reden, kein Zweifel. Ansonsten kann er mit dem Auftritt zufrieden sein. Man muss ein Topspiel erst einmal so beherrschen und sich diese Fülle an Hochkarätern erarbeiten. Mit dem Sieg rutschte Stern bis auf einen Punkt an Neukölln heran und bleibt auch Klassenprimus Pankow auf den Fersen.


Fotos (5): Ralf Seedorf