Sterns Männer holen mit einem Doppelpack in der Nachspielzeit noch ein 3:3 gegen Altglienicke II
Es fehlen einem langsam die Worte für das, was der SFC Stern 1900 da Woche für Woche in der Berlin-Liga abliefert. Was holen die beiden Coaches Maxi Obst und Patrick Fischer nur raus aus dieser von Personalnot gebeutelten Mannschaft? Was leisten diese Jungs, die für die verletzte Stamm-Belegschaft in die Bresche springen, gerade? Es ist unfassbar! Am Sonntag drehten sie Kraft eines unbändigen Willens in letzter Sekunde eine bereits verloren geglaubte, an Dramatik kaum zu überbietende Partie.
Nach dem Sieg im Topspiel gegen die Reinickendorfer Füchse vergangene Woche galt es, den Platz an der Sonne zu verteidigen und als Herbstmeister zu überwintern. Kein einfaches Unterfangen. Natürlich, weil in der Zweitvertretung des Regionalligisten VGA Altglienicke ein starker Gegner auf den Sterner kam. Vor allem aber, weil die Zahl der verhinderten Kicker einen neuen Höchststand erreicht hat. Coach Maxi Obst sagte nach dem Spiel: „Auf der Tribüne habe ich heute elf angeschlagene beziehungsweise gesperrte Spieler gesehen, die zusammen eine top Berlin-Liga-Mannschaft stellen würden.“
Auf dem Feld tummelten sich also viele bisherige Ersatzspieler, auf der Bank nahmen nur vier Auswechselkicker Platz, drei davon der Regionalliga-A-Jugend entlehnt. Die Zuschauer bereuten ihr Kommen trotzdem nicht. „Es war ein wildes Spiel“, sagte David Vetter, an diesem Tag als Stellvertreter des Stellvertreters des stellvertretenden Kapitäns unterwegs. Und dieses Spiel ging so:
Stern bestimmte die Begegnung vom Anpfiff an, Vetter war mit dem Gegenpressing und generell mit der Verteidigung zunächst sehr zufrieden. „Wir haben nichts zugelassen“, beschreibt er den Sterner Start. Folgerichtig gingen die Hausherren in Führung. Olli Gantzberg verwandelte einen an Tim Schönfuß-Hahm begangenen Foul-Elfmeter eiskalt (21.). Mit der ersten Annäherung an den Sterner Kasten glichen die Gäste dann aus. Schönfuß-Hahm, Vetter und Onni Turunen hätten den ersten Ball konsequenter verteidigen müssen, agierten in dieser Szene nicht abgestimmt. Als der zweite Ball in die Spitze gespielt wurde, verschätzte sich auch noch Keeper Nico Wiesner und Moritz Tomczak schob den Ball in die Maschen (34.).
Ein Schönheitsfehler, hätte man meinen können, zumal die Anfangsphase der zweiten Schicht wieder den Steglitzern gehörte, inklusive zwei, drei guter Torchancen. Altglienicke reduzierte sich auf Nadelstiche, das aber sehr gut: Stanley Cross münzte einen der Konter in das 2:1 für sein Team um (78.). Als dann Emir Bakal nur vier Minuten später per Elfmeter – der laut Vetter völlig berechtigt verhängt worden war – auf 3:1 stellte, hätte wohl niemand auf der Tribüne auch nur einen Pfifferling auf Stern gesetzt.
Mindestens einer auf der Trainerbank schon: Maxi Obst. „Ehrlich gesagt, habe ich trotzdem daran geglaubt, dass wir noch punkten können. Daher haben wir sofort umgestellt und dreifach gewechselt.“ In Daimen Wolf und Mike Zimpel kamen zwei Youngster ins Spiel und dann hatte Obst ja noch den vierten Mann auf der Bank: Yannick Woithe. Der frühere Topscorer der Sterner hatte sich ob der angespannten Personalsituation spontan angeboten, dort Platz zu nehmen. Trotz vorheriger 90 Minuten für die Sterner Ü32. „So’n bisschen zum Pushen“, wie er sagte. Nun war er plötzlich mittenmang. Dazu zitierte Obst Schönfuß-Hahm nach vorne.
Vetter kommentierte die Maßnahme des Trainers so: „Maxi hat noch mal alles in die Waagschale geworfen. Wir haben unseren Spielstil geändert, lange Bälle nach vorne geschlagen. Die Jungen haben unbekümmert aufgespielt und so für frischen Wind gesorgt. Und Tim, Yannick und Olli sind ob ihrer körperlichen Präsenz wirklich schwer zu verteidigen.“
Wie schwer, zeigte dann die Nachspielzeit. Nach einer Ecke verschätzte sich Altglienickes Keeper Saleh Kassem, der Ball fiel Yannick Woithe direkt vor die Füße, der Rest war Formsache: nur noch 2:3 (90.+1). Möglicherweise hatte der Schiedsrichter seine Pfeife für den Schlusspfiff bereits im Mund, als die letzte Szene des Spiels die Partie nochmal auf den Kopf stellte. Kassem ließ sich aufreizend viel Zeit mit dem Aufnehmen des Balls. Olli Gantzberg pirschte sich an, sprintete plötzlich los und spitzelte die Kugel zum Ausgleich durch die Beine des Keepers ins Tor (90.+4). Kassem sank nach dem Ende der Partie in sich zusammen, die Sterner brüllten ihre Freude über den unverhofften Punkt heraus.
Vetter war zunächst nicht nur nach Jubel zumute. „Ich hätte gerne gewonnen und wäre gerne als Herbstmeister in die Winterpause gegangen. Weil wir uns das alle verdient hätten.“ Mit etwas Abstand zu dieser unglaublichen Achterbahnfahrt sagte er: „Wenn man ein bisschen rauszoomt, sich die personellen Umstände, unter denen wir seit Wochen spielen, und den Spielverlauf heute anguckt, können wir sehr zufrieden mit diesem Punkt sein.“
Maxi Obst war es auch: „Die Mannschaft hat erneut Charakter und Mentalität gezeigt und ist nach dem 1:3 noch einmal zurückgekommen. Alle haben es super gemacht und können stolz auf sich sein.“ Croatia ist Herbstmeister, aber wer hätte nach dem holprigen Saisonstart gedacht, Stern jetzt auf Platz zwei zu sehen? Obst, Fischer und das Team dürften über die Pause froh und glücklich sein – der Kader kann sich erholen. Nach den spektakulären Spielen der vergangenen Wochen muss man als geneigter Fan aber eher sagen: Schade!
Fotos (6): Ralf Seedorf